Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMAS (Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und Einführung einer Bildungszeit)

Mit dem o.g. Referentenentwurf sollen in Umsetzung des Koalitionsvertrags im Kern noch einmal verstärkte Anstrengungen zur Qualifizierung Beschäftigter und Ausbildungssuchender unternommen werden. 

Die beabsichtigten Regelungen sind vor dem Hintergrund des digitalen und demografischen – und jetzt auch noch klimaschutzbedingten – Strukturwandels im Kontext des zum 1.1.2019 in Kraft getretenen Qualifizierungschancengesetzes vom 21.12.2018 (BGBl I 2651) zu sehen. Mit dem Qualifizierungschancengesetz erhalten Beschäftigte bereits Zugang zur Weiterbildungsförderung auch unabhängig von Qualifikation, Lebensalter und Betriebsgröße, wenn sie als Folge des digitalen Strukturwandels Weiterbildungsbedarf haben, in sonstiger Weise von Strukturwandel betroffen sind oder eine Weiterbildung in einem Engpassberuf anstreben. Darüber hinaus wurden mit diesem Gesetz zugleich die Förderleistungen verbessert und neben der Zahlung von Weiterbildungskosten die Möglichkeiten für Zuschüsse zum Arbeitsentgelt bei Weiterbildung erweitert. Beides ist grundsätzlich an eine Kofinanzierung durch den Arbeitgeber gebunden und in der Höhe abhängig von der Unternehmensgröße (§ 82 SGB III).

Diese Förderleistungen wurden anschließend durch das am 29.5.2020 in Kraft getretene Arbeit-von-morgen-Gesetzvom 20.5.2020 (BGBl I 1044) nochmals verbessert und erleichtert, die Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit zu Lehrgangskosten und Arbeitsentgelt erhöht, die Sammelantragstellung unter Verzicht auf individuelle Bildungsgutscheine ermöglicht (§ 82 Abs. 6 SGB III), die Weiterbildungsmaßnahmen an geringere Zeiteinheiten und Teilnehmerzahlen angepasst (§ 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 7 SGB III), ein Rechtsanspruch auf Förderung einer beruflichen Nachqualifizierung zum Nachholen eines Berufsabschlusses für Geringqualifizierte (§ 81 Abs. 2 SGB III) verankert und zusätzliche Anreize für Weiterbildung während der Kurzarbeit geschaffen (§§ 106a, 111a SGB III). Das zeitlich befristete Instrument der Assistierten Ausbildung, mit der die Bundesagentur für Arbeit junge Menschen und deren Ausbildungsbetriebe während einer betrieblichen Berufsausbildung oder einer Einstiegsqualifizierung fördern kann, wurde auf Dauer etabliert (§§ 74 ff SGB III) und die Regelungen zur Förderung der außerbetrieblichen Berufsausbildung im Ermessen der Agentur für Arbeit angepasst (§ 76 SGB III).

Hier setzen die beabsichtigten Neuregelungen an, mit denen nun zeitlich gestaffelt bis zum 1.1.2025 eine Ausbildungsgarantie geschaffen (Ref-E S. 34), die Weiterbildungsförderung Beschäftigter reformiert (Ref-E S. 32), ein Qualifizierungsgeld (§§ 82a ff SGB III) und eine Bildungs(teil)zeit (§§ 87b ff SGB III) eingeführt (Ref-E S. 33) sowie die Regelungen zu Erstattungen bei beruflicher Weiterbildung während der Kurzarbeit noch einmal verlängert werden (Ref-E S. 35). 

Die Ausbildungsgarantie soll durch ein Maßnahmenbündel sichergestellt werden (Ref-E S. 34), insbesondere durch Berufsorientierungspraktika mit begleitender Übernahme der Fahrt – und Unterkunftskosten (§ 48a SGB III) und durch außerbetriebliche Ausbildungsangebote in Fällen, in denen trotz intensiver Vermittlungsbemühungen und Bewerbungsaktivitäten eine betriebliche Berufsausbildung nicht aufgenommen werden kann (§ 76 Abs. 5 SGB III). 

Die Umsetzung einer „Ausbildungsgarantie“ dürfte ohne eine Realisierung starker und kooperativer Strukturen vor Ort außerordentlich problematisch sein.

Unbeschadet der Detailregelungen sind die mit dem Referentenentwurf angestrebten Qualifizierungsmaßnahmen aber grundsätzlich zu begrüßen. Angesichts einer qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquote bei Menschen ohne Berufsabschluss von 20,6 Prozent im Vergleich zu Menschen mit betrieblicher bzw. schulischer Berufsausbildung von 3,5 Prozent und Menschen mit einem akademischen Abschluss von 3,2 Prozent (vgl. BT-Drucks. 20/3477) sind weitere Bemühungen unerlässlich. Der Entwurf lässt indes nicht erkennen, wie die notwendige Qualifizierung – jenseits statistischer Erfolge – gelingen soll, wenn die entsprechende Qualifizierung des maßgeblich beteiligten beruflichen Bildungspersonals ebenfalls reformbedürftig ist (vgl. hierzu Esser/Wilbers, FAZ vom 15.12.2022). 

Zutreffend geht der Entwurf allerdings davon aus, dass 2,3 Mio junge Erwachsene zwischen 20 und 34 Jahren keinen Berufsabschluss haben und sich auch nicht in schulischer oder beruflicher Bildung befinden, die einen solchen Berufsabschluss erwarten ließe (Ref-E S. 59 unter Bezug auf Berufsbildungsbericht 2022). Hieraus abzuleiten, dass eine Ausbildungsgarantie Abhilfe schaffen könnte, lässt sich mit der Gesamtbetrachtung zum Ausbildungsmarkt nur begrenzt in Übereinstimmung bringen. Denn danach waren zum Stichtag 23.9.2022 bundesweit 68.900 Ausbildungsstellen unbesetzt und 22.700 Bewerberinnen und Bewerber unversorgt (vgl. BA Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt, Dez und Jahr 2022, S. 63). 

Die Situation am Ausbildungsmarkt ist bereits seit einigen Jahren durch eine widersprüchliche und paradoxe Entwicklung gekennzeichnet. Während Betriebe zunehmend Schwierigkeiten haben, Ausbildungsstellen zu besetzen, bleibt die Zahl der noch suchenden Bewerberinnen und Bewerber seit Jahren nahezu gleichbleibend hoch. Dabei sind die Unterschiede zwischen Regionen und Berufen erheblich. Je nach Konstellation überwiegen Versorgungsprobleme für junge Menschen oder Besetzungsprobleme für Betriebe oder sie treten in unterschiedlichen Kombinationen auf. 

Als unterstützende Maßnahmen ist also geboten, die Passungsprobleme zu mildern oder zu überwinden und dazu beitragen, dass Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt zusammengebracht werden. Die angestrebten Regelungen zur Weiterentwicklung oder Ergänzung der Instrumente der Förderung der beruflichen Ausbildung zielen auf solche Passungsprobleme und können insoweit befürwortet werden. 

Auch sollte in Betracht gezogen werden, dass möglicherweise ein Teil der jungen Erwachsenen kein nachhaltiges Interesse an einer Ausbildung hat und Maßnahmen der Motivationsförderung das bereits bestehende und noch zu schaffende Ausbildungsangebot flankieren müssen. 

Tatsächlich verlässt seit Jahren ein nennenswerter Anteil von rd. 50.000 jungen Menschen bereits die Schule ohne Abschluss (Berufsbildungsbericht 2022 S. 19f), die aufgrund dessen nicht nur Schwierigkeiten haben, Zugang zum Ausbildungsmarkt zu erhalten, sondern auch aus Sicht der Ausbildungsbetriebe erheblichen Nachholbedarf haben, um eine begonnene Ausbildung erfolgreich absolvieren zu können.

Erforderlich im Sinne einer Effizienzkontrolle ist es deshalb, dass auch diese Aspekte einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden und ggf. noch andere Wege (z.B. konzertierte Aktionen zwischen Bund und Ländern) zur Behebung der vorhandenen Defizite beschritten werden.

Dr. Miriam Meßling
Präsidentin
Deutscher Sozialgerichtstag e.V.

Stellungnahme als PDF herunterladen