Stellungnahme des Deutschen Sozialgerichtstags e.V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten

Stellungnahme des Deutschen Sozialgerichtstags e.V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten

Aktenzeichen: R A 2 – 3700/19-3-1-R1 185/2020

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. ist ein interdisziplinärer Fachverband, dem Richterinnen und Richter, Ehrenamtliche Richterinnen und Richter, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Rentenberaterinnen und Rentenberater, Verfahrensbevollmächtigte von Verbänden, Vertreterinnen und Vertreter von Behörden, Medizinische Sachverständige, Angehörige der Rechtswissenschaft und Entscheidungsträger aus der Gesetzgebung angehören. Wichtig ist für uns u. a. die Begleitung aktueller Gesetzgebungsvorhaben. Wir begreifen das Sozialrecht als sozialstaatliche Aufgabe. Unter dieser Zielsetzung entwickeln wir sozialpolitische Aktivitäten und unterstützen die einheitliche Rechtsanwendung sowie die wissenschaftliche Entwicklung auf dem Gebiet des Sozialrechts.

Zu unserem Bedauern ist der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz an der Anhörung zu dem o. g. Referentenentwurf nicht beteiligt worden, obwohl die vorgesehenen Regelungen auch die Belange der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit betreffen sowie eine Änderung auch des Sozialgerichtsgesetzes umfassen. Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. bittet nachdrücklich darum, ihn zukünftig in Anhörungsverfahren zu einschlägigen Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen.

Da uns der oben genannte Referentenentwurf jedoch von dritter Seite zur Kenntnis gegeben worden ist, erlauben wir uns, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.

A. Grundsätzliche Bemerkungen

Mit dem Gesetzentwurf soll Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen, privatrechtlichen Organisationen und Verbänden sowie anderen professionellen Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gegeben werden, möglichst kostenneutral über ein neues besonderes elektronisches Postfach mit den Gerichten auf sicherem Wege zu kommunizieren. Dafür soll ein sogenanntes besonderes elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach (kurz: eBO) geschaffen werden, das sowohl den schriftformersetzenden Versand elektronischer Dokumente an die Gerichte als auch die Zusendung elektronischer Dokumente durch die Gerichte an die Postfachinhaber ermöglicht.

Dieser mit dem Gesetzentwurf verfolgten Zielsetzung stimmt der Deutsche Sozialgerichtstag e. V. ausdrücklich zu. Der Gesetzgeber käme damit einer langjährigen Forderung der Sozialgerichtsbarkeit und der u. a. im sozialgerichtlichen Verfahren als Prozessbevollmächtigte agierenden Gewerkschaften, Verbände und weiteren professionellen Verfahrensbeteiligten nach einer mit der Rechtsanwaltschaft vergleichbaren Möglichkeit der elektronischen Kommunikation nach. Auch die Erweiterung dieser Möglichkeit auf die im sozialgerichtlichen Verfahren vielfach in Anspruch genommenen, vor allem medizinischen, Sachverständigen würde eine zukunftsgerichtete Vereinfachung der Tätigkeit der Gerichte ohne Medienbrüche bedeuten.

B. Zu einzelnen Regelungen:

I. Art. 1 Nr. 4 (§ 173 Abs. 4 ZPO-E)

In § 173 Abs. 4 Satz 1 ZPO in der Fassung des Referentenentwurfs soll das bisher in § 174 Abs. 3 Satz 2 ZPO enthaltene Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmung zur Zustellung elektronischer Dokumente entfallen. Nach der Begründung des Referentenentwurfs soll es ausreichen, „wenn sich diese (Zustimmung) im Einzelfall aus den konkreten Umständen ergibt.“ Danach soll es künftig ausreichen, dass der Inhaber eines elektronischen Bürgerund Organisationenpostfachs dieses initiativ nutzt, um in einem Verfahren etwa ein Schriftstück an das Gericht zu übermitteln, weil dann „regelmäßig davon ausgegangen werden“ könne, dass die Person in diesem Verfahren auch auf dem „Rückweg“ Zustellungen gegen sich auf diesem Übermittlungswege gelten lassen möchte.

Aus Gründen der Praktikabilität ist es zwar sachdienlich, wenn die Zustimmung zur Zustellung von elektronischen Dokumenten für das jeweilige Verfahren nicht mehr ausdrücklich erklärt werden muss. Es sollte aber ausdrücklich gesetzlich geregelt werden, dass diese Zustimmung für das konkrete Verfahren dadurch als erklärt gilt, dass das besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach durch Einreichung eines elektronischen Dokuments an das Gericht genutzt wird. Nur durch eine solche ausdrückliche gesetzliche Regelung wird dem Nutzer des eBO verdeutlicht, welche prozessualen Folgen die Nutzung des eBO für ihn hat. Außerdem sollte im Gesetz die Möglichkeit eingeräumt werden, die Zustimmung zur Zustellung elektronischer Dokumente über das eBO ausdrücklich abzulehnen oder im Verlauf des Verfahrens zurückzunehmen bzw. zu widerrufen.

Es wird deshalb vorgeschlagen, in § 174 Abs. 4 ZPO-E die folgenden Sätze 2 und 3 einzufügen:

„Die Zustimmung gilt mit der Einreichung eines elektronischen Dokuments im jeweiligen Verfahren als erteilt. Die Zustimmung kann jederzeit widerrufen werden.“

II. Art. 3 Nr. 2 (§§ 10 ff. ERVV-E)

Aus der Sicht der vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als Prozessbevollmächtigte auftretenden Gewerkschaften und Verbände ist von besonderer Wichtigkeit, dass Postfächer des elektronischen Rechtsverkehrs nicht personengebunden, sondern einer Organisation zugeordnet sind. Ein personengebundener Rechtsverkehr würde die Nutzung des eBO unattraktiv machen, weil z. B. bei einem Personalwechsel ein erneutes Identifikationsverfahren mit entsprechendem Verwaltungs- und Kostenaufwand durchgeführt werden müsste.

Aufgrund der Organisationsstrukturen ist es außerdem erforderlich, dass mehrere Personen zeitgleich auf den vollständigen Nachrichtenbestand eines Postfachs zugreifen können. Wichtig ist auch, dass die Strukturen von Verbänden und anderen Organisationen sowie deren Untergliederungen, die an verschiedenen Standorten tätig sind, ausreichend berücksichtigt werden.

Inwieweit diese Erfordernisse im vorgelegten Referentenentwurf beachtet worden sind, lässt sich in der Kürze der für diese Stellungnahme zur Verfügung stehenden Zeit nicht ausreichend prüfen, sodass es hierzu bei diesen Hinweisen verbleiben muss.

III. Art. 7 Nr. 2 (§§ 65a SGG-E und 65d SGG in der ab 01.01.2022 geltenden Fassung)

Dem Referentenentwurf fehlt eine klarstellende Regelung über das Verhältnis zwischen der in § 65d Satz 2 SGG (und den entsprechenden Vorschriften in den anderen Verfahrensgesetzen) geregelten Nutzungspflicht einerseits und den Regelungen über die sicheren Übermittlungswege in § 65a SGG-E andererseits.

Nach § 65d Satz 2 SGG in der ab 01.01.2022 geltenden Fassung gilt die Nutzungspflicht auch für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Absatz 4 Nummer 2 zur Verfügung steht. Hierbei handelt es sich um den sicheren Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach § 31a der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts.

Bei dem durch § 65a Abs. 4 Nr. 4 SGG-E eingeführten weiteren sicheren Übermittlungsweg in Form eines besonderen Bürger- und Organisationenpostfachs handelt es sich offenkundig um ein solches „auf gesetzlicher Grundlage errichtetes elektronisches Postfach“, sodass angenommen werden könnte, dass die zum Kreis der vertretungsberechtigten Personen gehörenden Nutzer des eBO ebenfalls der Nutzungspflicht nach § 65d Satz 2 SGG unterliegen sollen. Insbesondere für die nach § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGG vertretungsberechtigten Privatpersonen (volljährige Familienangehörige, Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht) dürfte sich eine Nutzungspflicht verbieten, und zwar unabhängig davon, ob ihnen ein solcher Übermittlungsweg aufgrund von § 65a Abs. 4 Nr. 4 SGG-E abstrakt oder aufgrund eines nach Durchlaufen des Identifizierungsverfahrens konkret errichteten eBO „zur Verfügung steht“.

Es wird daher angeregt, das Verhältnis zwischen der eingeräumten Möglichkeit der Nutzung des eBO einerseits und der Verpflichtung zur Nutzung dieses sicheren Übermittlungsweges gesetzlich eindeutig zu regeln.

IV. Notwendigkeit von Übergangsregelungen

Mindestens dann, wenn für die genannten (nach dem SGG) vertretungsberechtigten Personen eine Nutzungspflicht beabsichtigt sein sollte, bedarf es der Einfügung von Übergangsregelungen in den Gesetzentwurf. Im Hinblick auf die zu erwartende Dauer des Gesetzgebungsverfahrens dürfte die Zeitspanne zwischen dem voraussichtlichen Inkrafttreten des Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und dem Inkrafttreten des § 65d SGG sowie der entsprechenden Regelungen in den anderen Verfahrensgesetzen am 01.01.2022 für die hiervon vorrangig betroffenen Verbände zu kurz sein, um die administrative Vorbereitung und technologische Umsetzung einschließlich der notwendigen Identifizierungsverfahren vor dem 01.01.2022 zu gewährleisten.

Mit freundlichen Grüßen

Für den Vorstand des Deutschen Sozialgerichtstags e. V.

gez. Monika Paulat
Präsidentin

gez. Susanne Weßler-Hoth
Vorsitzende der Kommission Verfahrensrecht