Stellungnahme der Kommission SGB XI des DSGT zur geplanten großen Pflegereform
Im Anschluss an den Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit 2025 haben dessen Kongresspräsident und die wissenschaftlichen Leiterinnen und Leiter des Hauptstadtkongresses in einem an die Bundesgesundheitsministerin Nina Warken und die Mitglieder des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages gerichteten Schreiben vom 18.07.2025 in acht Punkte gegliederte Handlungsempfehlungen zusammengestellt.
Hieran anknüpfend plädiert auch die Kommission SGB XI des DSGT:
1. Für die Sicherstellung einer nachhaltigen Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung
- durch eine in die Ausgaben- wie die Einnahmenseite der öffentlichen Finanzen eingebettete nachhaltige Finanzierungsreform unter Berücksichtigung der Kompensation versicherungsfremder Leistungen
- durch ein auch in der Pflege stärker am Ergebnis (Qualitätsmessung) orientiertes, langfristiges Finanzierungskonzept unter Einbeziehung von Innovationen und Aspekten der sozialen Gerechtigkeit
- auf der Grundlage der Evaluation der aktuellen Leistungen und der Qualitätssicherung in der Pflegeversicherung.
2. Für eine sektorenübergreifende Reformstrategie
- In der Pflege sind sektorenübergreifende Lösungen schon auf der Leistungsebene zu prüfen. Vertikale Sektorengrenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung in der Pflege sind abzubauen, ihre Funktionen zu prüfen und Synergieeffekte auszuloten.
- Integrierte Versorgungs- und Präventionskonzepte sind entlang von Patientenpfaden im Rahmen der horizontalen sektorenübergreifenden Versorgung mittels entsprechender Öffnungsregelungen im SGB V und SGB XI regional zu entwickeln.
- Pflegeeinrichtungen und Pflegefachpersonen sind in verbindliche digitale Kommunikationsstrukturen der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung einzubinden.
- Die konsequente Umsetzung der Krankenhausreform leistet mit den neuen sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen einen wichtigen Beitrag zur pflegerischen Versorgung. Dabei ist bei der Etablierung dieser Einrichtungen, insbesondere im Falle einer regionalen Unterversorgung, mehr Gestaltungsspielraum vor Ort in der horizontalen sektorenübergreifenden Versorgung einzuräumen.
3. Für die Stärkung und Qualifizierung von Pflegefachpersonen
- Das Pflegefachassistenzgesetz, das Pflegekompetenzgesetz und das APN-Gesetz (Advanced Practice Nurses) sollten zügig verabschiedet werden.
- Qualifizierte Pflegefachpersonen sollten mehr Autonomie und einen erweiterten Kompetenz- und Verantwortungsbereich im Berufs- wie Leistungserbringungsrecht erhalten.
- Die weitere Umsetzung der Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Akademisierung der Pflege- und Gesundheitsberufe ist zwischen Bund und Ländern voranzutreiben.
- Die Pflegeforschung ist weiter auszubauen und Spezialisierungen auf Masterniveau sind vorzusehen.
- Die Ausbildungsinhalte sind an digitale Kompetenzen, einschließlich der Anwendung von KI in der Pflege, und an eine interprofessionelle Zusammenarbeit in der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung anzupassen.
4. Für eine Beschleunigung der Digitalisierung und für einen verantwortungsbewussten Einsatz von KI in der Pflege
- Datenschutzbestimmungen sind ggf. zu reformieren, um praxistaugliche Digitalisierungslösungen vor Ort umsetzen zu können.
- Zertifizierungsverfahren für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) und digitale Pflegeanwendungen (DiPA) sind zu vereinfachen.
- Digitale Infrastrukturen sind nicht nur in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen sowie Pflegediensten, sondern so weit als möglich auch in der häuslichen Pflege zu fördern.
- Für den verantwortungsvollen Einsatz von KI in der Pflege bedarf es einheitlicher Standards und vor allem klarer ethischer Leitplanken.
5. Für Bürokratieabbau
- Zur Reduzierung der administrativen Belastung ist dringend die Digitalisierung und Vereinheitlichung von Genehmigungs- und Abrechnungsprozessen zu forcieren.
- In der Qualitätssicherung sind überbordende Kontrollen abzubauen und ist auf mehr vertrauensbasierte Zusammenarbeit zu setzen.
- Gerade bei dem Ziel eines Bürokratieabbaus – wie auch sonst bei der Ermittlung des Reformbedarfs – sind die (bisherigen) Erfahrungen und Forderungen der professionellen Pflegekräfte und Einrichtungsträger im ambulanten und stationären Bereich einzubeziehen.
6. Schlussfolgerung
Wir teilen auch weitgehend die Schlussfolgerungen des Hauptstadtkongresses: Das deutsche Gesundheits- wie Sozialsystem steht auch im Bereich der Pflege vor großen Herausforderungen.
7. Wir möchten die Entscheidungsträgerinnen und -träger in der Politik auffordern:
- Die notwendigen Reformen nicht zu verzögern, sondern zu beschleunigen.
- Die Pflege- und Gesundheitsberufe mit mehr Autonomie und Eigenständigkeit auszustatten und ihnen die dazu notwendigen Kompetenzen und Ressourcen zu geben.
- Die Finanzierung des Systems der sozialen Pflegeversicherung und der Hilfe zur Pflege zukunftsfähig zu gestalten.
Nur mit einer weiterhin stabilen Pflegeversicherung können eine effektive und bundesweit einheitliche Qualitätssicherung in allen Pflegeeinrichtungen und Pflegediensten sowie in der häuslichen Pflege und zugleich der Ausbau bzw. die Aufrechterhaltung erforderlicher Versorgungseinrichtungen gewährleistet werden. Das Erfolgsmodell der deutschen Pflegeversicherung, das europaweite Vorbildfunktion hat, muss gesichert werden.