Positionen des DSGT durch BVerfG im Verfahren zu den Sanktionen im SGB II bestätigt

Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. (DSGT) nahm die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Sanktionsregelungen im SGB II mit großer Zustimmung zur Kenntnis. Das Gericht erklärte in seinem Urteil vom 05. November 2019 große Teile des Sanktionsrechtes für verfassungswidrig und folgte damit in weiten Teilen der Stellungnahme des DSGT (Entscheidung im Volltext).

Der DSGT erhielt vom BVerfG Gelegenheit, im Verfahren als sachkundiger Dritter gemäß § 27a BVerfGG schriftlich Stellung zu nehmen. Überdies war der Verband in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2019 durch seine Präsidentin, Monika Paulat, und den Vorsitzenden der SGB II-Kommission, Gerd Goldmann, vertreten. Der Verband äußerte erhebliche Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen im SGB II, soweit diese über 30 % des maßgebenden Regelsatzes hinausgingen. 

Sanktionen als Druckmittel“ im SGB II

Wer existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II bezieht, hat nach dem Gesetz Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Kommt der Hilfebedürftige seinen Pflichten nicht nach, sind Sanktionen in Form von Leistungskürzungen möglich. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes mindern sich auf der ersten Eskalationsstufe um 30 % des maßgebenden Regelbedarfes, bei wiederholter Pflichtverletzung um 60 %. Bei jeder weiteren Pflichtverletzung beträgt die Kürzung 100 % (§ 31a Abs. 1 SGB II). 

Die Sanktionsregelungen des SGB II beinhalten im Kern einen Erziehungs- und Motivationsgedanken. Der teilweise oder vollständige Entzug der existenzsichernden Leistungen soll den Betroffenen künftig zu einer Änderung seines bisherigen Verhaltens veranlassen. 

Stellungnahme des DSGT zur Verfassungsmäßigkeit der Sanktionen im SGB II

Der Verband mahnte in seiner Stellungnahme vom 16.03.2017 eine differenzierte Betrachtungsweise des Sanktionsrechtes an. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG erfordert nicht den Verzicht auf jede Sanktionierung in Form von Leistungskürzungen. Der DSGT vertrat jedoch klar den Standpunkt, dass Leistungskürzungen, die in das physische Existenzminimum durch eine Kürzung des Regelbedarfs von mehr als 30 % eingreifen, in der bestehenden Ausgestaltung rechtswidrig sind (Bericht zur mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2019).

Grundsätzlich ist es legitim, in einem steuerfinanzierten Leistungssystem Mitwirkungshandlungen der Leistungsberechtigten zur Verringerung oder Beendigung der Hilfebedürftigkeit einzufordern. 

Nicht erwiesen ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass Sanktionen über 30 % des maßgebenden Regelbedarfes die Motivation zur Arbeitsaufnahme erhöhen. Solange hierzu keine verlässlichen empirischen Daten vorliegen, sind diese Sanktionen als ungeeignetes Mittel anzusehen. 

Für besonders kritisch befunden hat der DSGT, dass die Sanktionen ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls von den Jobcentern verhängt werden müssen und eine nachträgliche Erfüllung der Mitwirkungshandlung nicht berücksichtigt werden kann. An der Verhältnismäßigkeit der Sanktionsregelungen im Hinblick auf die verfolgten Ziele äußerte der DSGT erhebliche Zweifel.

BVerfG – Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten teilweise verfassungswidrig

Das BVerfG hat nun mit seinem Urteil das Sanktionsrecht des SGB II deutlich abgemildert, ohne sich in Richtung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu bewegen. Der Grundsatz, nach dem verhältnismäßige Pflichten mit verhältnismäßigen Sanktionen durchgesetzt werden können, hat weiterhin Bestand. Darüber hinaus hat das Gericht maßgebliche Feststellungen zur Einheit der das Existenzminimum garantierenden Leistung getroffen.

§ 31a SGB II ist verfassungswidrig, soweit die Höhe der Leistungsminderung bei einer erneuten Verletzung einer Pflicht nach § 31 SGB II die Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfes übersteigt, soweit Sanktionen zwingend zu verhängen sind, auch wenn außergewöhnliche Härten vorliegen, und soweit das Gesetz für alle Leistungsminderungen ungeachtet der Erfüllung der Mitwirkungspflicht oder der Bereitschaft dazu eine starre Dauer vorgibt. 

Gesetzgeberischer Handlungsbedarf und stärkere Berücksichtigung des Einzelfalls

Der Gesetzgeber hat durch das BVerfG einen sehr konkreten Reformauftrag erhalten. Das Sanktionsrecht des SGB II muss umfassend überarbeitet und die Sanktionen müssen auf ihre Wirkung hin untersucht werden. Ein „Fordern“ im Sinne des SGB II darf nicht in ein „Überfordern“ münden. 

Bis zur Neuregelung sind Kürzungen nur in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfes zulässig. Bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte kann von einer Sanktion abgesehen werden. Auch eine Verkürzung des Sanktionszeitraumes ist möglich. 

Die Leistungsträger sind jetzt unter genauer Beachtung der Vorgaben des BVerfG verpflichtet, sich intensiv mit dem jeweiligen Einzelfall zu befassen. Mit den vorhandenen personellen Ressourcen wird das kaum leistbar sein.