Deutscher Sozialgerichtstag besorgt wegen Erosionsgefahr für den Rechtsstaat durch die Beeinträchtigung zentraler Verfahrensrechte im SGG-Verfahren

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Sicherung der Funktionsfähigkeit u.a. der Sozialgerichtsbarkeit während der COVID-19-Epidemie vorgelegt. Zu diesem Entwurf hat der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. (DSGT) innerhalb der wegen der Eilbedürftigkeit äußerst kurz bemessen gewesenen Frist kritisch Stellung genommen.

Grundsätzlich begrüßt der DSGT die Intention des Gesetzesentwurfs, die Funktionsfähigkeit der Sozialgerichtsbarkeit während einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, in der sich Deutschland derzeit befindet, sicherzustellen.

Der DSGT bezweifelt allerdings, dass es wegen der Pandemie gerechtfertigt oder sogar notwendig ist, zentrale Verfahrensrechte dafür aufzugeben. Dazu gehören – gerade in der Sozialgerichtsbarkeit – die Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter an der Entscheidungsfindung und der Grundsatz der mündlichen Verhandlung. Einer vorgesehenen Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter an mündlichen Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz von einem anderen Ort aus stehen datenschutzrechtliche Bedenken, der Schutz des Beratungsgeheimnisses und die Unmöglichkeit der Kontrolle des Verbotes der Aufzeichnung  der Übertragung entgegen.

Insbesondere die vom BMAS beabsichtigte Erleichterung für den Erlass von Gerichtsbescheiden nur durch den Vorsitzenden ohne Zustimmung der Beteiligten (sie werden nur angehört) auch dann, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, stößt aus rechtsstaatlichen Gründen auf die Kritik des DSGT. Diese Ausweitung bedeutet eine massive Beeinträchtigung des Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsgrundsatzes des § 124 SGG, der gerade in der Sozialgerichtsbarkeit einen außerordentlich hohen Stellenwert hat. Die Erweiterung der Zulässigkeit von Gerichtsbescheiden drängt überdies die grundsätzlich vom SGG vorgesehene Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter weiter zurück. Der Gerichtsbescheid neuer Art würde für alle Verfahren gelten. Damit verbunden wäre ein Wertungswiderspruch zum Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 124 SGG, der so nicht in ein Anpassungsgesetz Eingang finden darf, auch nicht im Zeichen von Corona und auch nicht befristet.

Die o.g. Stellungnahme des DSGT ist abrufbar unter www.sozialgerichtstag.de.