Bundesrat gefährdet Nachwuchsgewinnung im Sozial- und Arbeitsrecht

„Künftig wird man im Sozial- und Arbeitsrecht kaum noch geeigneten Nachwuchs finden. Damit werden eine qualitätsvolle Beratung, Rechtsprechung und Sozialverwaltung immer schwerer.“ Mit diesen Worten kommentierte Monika Paulat, Präsidentin des Deutscher Sozialgerichtstag e.V. und frühere Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, einen Beschluss des Bundesrats zum Gesetzentwurf zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts. Versteckt in einer unauffälligen Ergänzung soll nach dem Willen des Bundesrats die Bildung einer Gesamtnote aus staatlicher Pflichtfachprüfung und universitärer Schwerpunktbereichsprüfung im ersten juristischen Examen entfallen. Was sich wie eine technische Fußnote anhört, würde in Wirklichkeit zu einer tiefgreifenden Änderung der Ausbildung von Juristinnen und Juristen führen. Vor allem für die Nachwuchsgewinnung im Sozial- und Arbeitsrecht sind gravierende Nachteile zu erwarten, wenn dieser Vorschlag Gesetz wird. Denn Sozial- und Arbeitsrecht gehören nicht zum Pflichtstoff der juristischen Ausbildung und kommen fast ausschließlich in den Schwerpunktbereichen vor, obwohl sie von überragender Bedeutung für die Sicherung der Bevölkerung wie auch für den Sozialstaat und Wirtschaftsstandort Deutschland sind. Der auch durch das Grundgesetz herausgehobenen Rolle beider Rechtsgebiete wird dies nicht gerecht, wie der Deutsche Sozialgerichtstag schon lange kritisiert. Wird die Note der universitären Schwerpunktbereichsprüfung künftig irrelevant für die lebenswegprägende Examensnote, werden sich viele Studierende nicht mehr für diese Ausbildungsinhalte interessieren. Der Bundesrat stellt sich damit gegen die langjährigen Bemühungen aller diesen Fachgebieten verbundenen Verbände, mehr Studierende für das Sozial- und Arbeitsrecht zu begeistern und so ausreichend Nachwuchs für Gerichte, Verwaltung und Rechtsberatung auf diesen Gebieten zu sichern.

Die Probleme durch Abweichungen der allein von den Universitäten zu verantwortenden Noten in den Schwerpunktbereichen und den durch die Justizprüfungsämter vergebenen Noten in den Pflichtfächern müssen und können anders gelöst werden. Jetzt ist es an der Zeit, die Grundzüge des Sozial- und Arbeitsrechts, wie von den Fachverbänden seit langem einhellig gefordert, in den Pflichtstoff aufzunehmen und nicht die wissenschaftliche Ausbildungsleistung in den Schwerpunktbereichen insgesamt zu schwächen.

Hintergrund

In seiner 1000. Sitzung am 12.2.2021 hat der Bundesrat mit seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des notariellen Berufsrechts und zur Änderung weiterer Vorschriften beschlossen, die Bildung einer Gesamtnote aus Staatlicher Pflichtfachprüfung und der universitären Schwerpunktbereichsprüfung zu streichen.

Bundesrat Drucksache 20/21 (Beschluss) S. 18:

„21. Zu Artikel 4 Nummer 4 Buchstabe a1 – neu – (§ 5d Absatz 2 Satz 4 DRiG) Artikel 22 Satz 2

(Inkrafttreten)

a) In Artikel 4 Nummer 4 ist nach Buchstabe a folgender Buchstabe einzufügen:

,a1) In Absatz 2 Satz 4 werden die Wörter „sowie zusätzlich eine Gesamtnote“ und die Wörter „ , in die das Ergebnis der bestandenen staatlichen Pflichtfachprüfung mit 70 vom Hundert und das Ergebnis der bestanden universitären Schwerpunktbereichsprüfung mit 30 vom Hundert einfließt“ gestrichen.‘

Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. ist ein interdisziplinärer Fachverband, der sich u.a. der einheitlichen Rechtsanwendung auf dem Gebiet des Sozialrechts und der wissenschaftlichen und sozialpolitischen Entwicklung des Sozialrechts widmet. Zu diesem Zweck veranstaltet er alle zwei Jahre einen öffentlichen Kongress, den „Deutschen Sozialgerichtstag“. Zwischen den Sozialgerichtstagen verfolgt der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. sein Ziel durch die Veranstaltung von Workshops und die Begleitung von Gesetzgebungsverfahren. Er wirkt als Sachverständiger bei Anhörungen des Deutschen Bundestags und in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit. Zu diesem Zweck bestehen verschiedene Fachkommissionen.

Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. ist keine berufsständische Vertretung, sondern ein Forum für alle, die dem Sozialrecht beruflich verbunden sind. Zu seinen Mitgliedern gehören Richterinnen und Richter, ehrenamtliche Richterinnen und Richter, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Rentenberaterinnen und Rentenberater, Verfahrensbevollmächtigte von Verbänden, Vertreterinnen und Vertreter von Behörden, Medizinische Sachverständige, Angehörige der Rechtswissenschaft und Entscheidungsträger aus der Gesetzgebung.

Die Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstag e.V. Monika Paulat war bis Ende 2013 Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg.